decorative background image

Die Gewerbeschule

Mit der Einrichtung der Fortbildungsschule für Lehrlinge wurde schon 1862 begonnen, indem man dafür drei Lehrer verpflichtete: Einen Maurer, einen Tischler und einen Maler.
Was an Unterrichtsmaterialien benötigt wurde, schaffte der Verein ebenfalls an, z.B. auch Dinge, die dem Zeichenunterricht dienen konnten. Überhaupt wurde 1898 eine regelrechte Zeichenschule eingerichtet, die den Verein in jenem Jahr die für damalige Zeiten beträchtliche Summe von 175,65 Mark kostete. So verdiente beispiels- weise ein Maurergeselle in der Woche rund 20 Mark, ein Tischler etwa 16, ein Schlosser 15, ein Schneider 14 und ein Tagelöhner nur 11 Mark, und das bei mehr als zehnstündiger Arbeitszeit täglich.
Anfangs wurde nur an den Sonntagen, später dann montags Schule gehalten, und es bildete sich mithin zu jener Zeit schon heraus, worauf manche Bildungsexperten von heute so stolz sind: Das duale Ausbildungssystem! Aber noch etwas mutet uns sehr modern an: Auch noch nicht konfirmierte Kinder durften zur Gewerbeschule und erhielten auf solche Weise die Gelegenheit, schon einmal in ihr späteres Berufsleben ”hineinzuriechen”. Diese Regelung hatte allerdings nur zwei Jahre Bestand. Dann scheinen die eigentlichen Handwerkslehrlinge gestreikt zu haben. Sie erschienen nunmehr ihrerseits möglichst nicht zur Schule.

Da ließ man die Kinder betreffende Regelung wieder fallen. Übrigens kamen die Lehrlinge meist aus nicht gerade sehr wohlhabenden Familien und sie besaßen daher häufig nur "für Festtage" Lederschuhe. Sie erschienen also in Holzpantinen zur Schule, was wiederum den im Erdgeschoß unter dem Klassenraum Wohnenden einigen Lärm bescherte. Davon kündet eine Verfügung des Vereinsvorstandes von 1892, die da besagte: Lehrlinge dürfen nicht mehr in Klotzen zum Unterricht kommen! Übrigens wurde zehn Jahre früher schon eine Prämie für fleißige Schüler eingeführt. Aus der Vereinskasse wurde sie bezahlt. Und als dann 1894 der Historiker Theodor Mommsen dem Gewerbeverein anläßlich der Dreihundertjahrfeier seiner Geburtsstadt 50 Mark schenkte, wurde dieses Geld zusammen mit einem weiteren Betrag aus der Vereinskasse dazu verwandt, eine "Theodor-Mommsen-Stiftung für Lehrlinge der Gewerbeschule" ins Leben zu rufen. Fleißige Gewerbeschüler erhielten aus dieser dann später Belohnungen. Der Gardinger Leser wird merken, daß diese Stiftung eine Vorläuferin jener anderen ist, die den Abgangsschülern unserer Haupt- und Realschule jetzt in jedem Jahr zugute kommt. Der Gewerbeschule wurde 1896 sogar ein Jugendheim angegliedert mit Lesestoff und Spielen für die Besucher.

Die Krankenkasse

Von der Regsamkeit des sozialen Gewissens der Vereinsgründer zeugt auch die Errichtung einer Krankenkasse. Als Einrichtung der Selbsthilfe wurde sie aus den Beiträgen der Mitglieder sowie aus bei besonderen Veranstaltungen des Vereins erzielten Einnahmen finanziert. Es gab für die Mitglieder im Krankheitsfalle Unterstützungsbeträge, deren Höhe genau geregelt war. Sie lagen – um ein Beispiel herauszugreifen – 1877 für Leichtkranke bei drei Mark, für einen Arzt benötigende Schwerkranke bei bis zu 6 Mark wöchentlich und wurden für eine allerdings begrenzte Zeit gezahlt; und zwar ging das so eine lange Reihe von Jahren bis zur Einführung der Innungskrankenkassen.

Natürlich mußte der Verein sich auch vor Mißbrauch dieser Regelung schützen. Er setzte daher "Aufseher", also eigens mit dem Besuch bei kranken Unterstützungsempfängern beauftragte Personen ein. Krankengeld wurde ebenfalls den Witwen unter den Mitgliedern gezahlt, sowie sogar den aus dem Mitgliederkreis stammenden, im Marienstift untergebrachten Präbanden.

Ausstellungen, Finanzen

”Zur Erweckung und Förderung des Gewerbefleißes” – so stand es in der Satzung – waren Ausstellungen der von den Gardinger Betrieben angefertigten Produkte vorgesehen. Die erste fand schon im Gründungsjahr 1861 statt. 14 Tage vor Weihnachten wurden dazu vom Verein angekaufte Waren der unterschiedlichsten Branchen ausgestellt, ein Unternehmen, das jeweils auch mit einer Verlosung verbunden war. Aus all dem wiederum ergab sich ein erheblicher Verdienst für die Vereinskasse, so daß man schon nach zehn Jahren und dann wiederholt auch in den folgenden dazu übergehen konnte, den Mitgliedern für längere oder kürzere Zeit die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen zu erlassen. Da nun aber für jeden Vereinsangehörigen auch eine Verpflichtung zum Besuch der jeweiligen Versammlungen bestand und bei Nichterfüllen dieser Pflicht Brüche (Geldstrafe) verhängt wurde, kam zu den Ausstellungsgeldern auch noch dieses Mehr an Mammon. Mit anderen Worten: Das Vereinsvermögen nahm im Laufe der Jahre erheblich zu. So war man 1885 in der Lage, im Westen des Stadtbezirkes ein Stück Land anzukaufen, das nunmehr und bis in unsere neueste Zeit hinein den Mitgliedern zu billigem Pachtpreis zwecks Anbau von Gemüse und Kartoffeln abgegeben wurde. Aus der Vereinskasse wurde ferner auch noch ein Bote bezahlt, dessen Aufgabe es war, Mitteilungen des Vorstandes u. dergl. den Mitgliedern zuzustellen.

Trotz dieser Ausgaben und der allmählichen Erhöhung des Krankengeldes sah sich der Gewerbeverein in der Lage, 1921 zur Feier seines 60-jährigen Bestehens folgenden Beschluß zu fassen und zu verwirklichen: „Jeder bedürftigen Person dürfen aus der Kasse bis zu 50 Mark als einmalige Unterstützung gezahlt werden". Eigentlich überflüssig zu betonen, daß es bei dem durch solche Entscheidungen klar zutage tretenden sozialen Verantwortungsbewußtsein des Gewerbevereins und seiner Mitglieder ganz selbstverständlich war, während des ersten Weltkrieges Pakete an die Fronten zu schicken und Kriegsanleihe in nennenswerter Höhe zu zeichnen.
Wir sprachen von den Einnahmequellen des Vereins, zu denen ja noch bei Festen erhobene Eintrittsgelder gehörten. In dem Zusammenhang hier allerdings ein entschieden komisch wirkender Satz im Protokoll von 1906, als das 45-jährige Stiftungsfest begangen wurde.
Da hieß es: "Witwern wird das Recht zugestanden, anstatt der Frau eine Dame einzuführen" (was zu der selbstverständlich irrigen Annahme verführen konnte, daß die verstorbene Gattin keine Dame war oder???).

Kommunalpolitisches

Schon vor Beginn seines Bestehens gehörten dem Gardinger Gewerbeverein auch solche Bürger an, die Ämter in dem Stadtverordnetenkollegium bekleideten. Mithin übte der Verein als solcher einen gewissen Einfluß auf die Stadtpolitik aus, mischte sich darüber hinaus sogar in die Kreispolitik ein. Nun ist bekanntlich jeder, der sich überhaupt zum Handeln aufrafft, auch Irrtümern ausgesetzt. Und ein solcher Fehler war es denn auch, den der Gewerbeverein beging, als er sich im Jahre 1927 gegen den Plan des Baues einer Eisenbahnstrecke von Garding nach St. Peter aussprach. Seine Begründung mag ihn allerdings entschuldigen. Sie lautete, die Steuerlasten seien so schon viel zu hoch und würden bei Verwirklichung des Projektes ins Unermeßliche steigen. Diese Haltung behielt der Verein auch 1930 noch ausdrücklich bei. Aber 1932 ist die Strecke dann ja doch gebaut worden.

Ein Jahr später erwies er sich aber wieder als ausgesprochen fortschrittlich, indem er sich finanziell an einem Westerhever und andere Orte im nördlichen Eiderstedt bedienenden Autobus- unternehmen beteiligte. Autolinien nach dort waren an den Markttagen übrigens schon 1928 von der Gardinger Kaufmannschaft eingerichtet worden, und zwar stellte der Gewerbeverein dazu eine Garantiesumme zur Verfügung. Inzwischen waren ja auch unter seinen Mitgliedern eine größere Anzahl Ladengeschäfte betreibender Kaufleute. Einige von diesen hatten sich allerdings zu einem eigenen "Ladeninhaberverein" zusammengeschlossen. Es spricht für die Attraktivität des Gewerbevereins, daß letzterer sich ihm 1939 angeschlossen hat. Das war aber nun auch der Zeitpunkt, an dem es erforderlich wurde, die – sagen wir – "Bandbreite" des Gewerbevereins auszudehnen. Drei Ausschüsse wurden gebildet: Einer für den Handel, einer für das Handwerk und ein dritter für die Erledigung kommunaler Angelegenheiten.